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EINE HISTORISCHE REMINISZENZ EIN KELLERNAZI ?

ERINNERUNGEN

EINES KUFSTEINER 68ers

Von Dr. Siegfried Dillersberger, Bürgermeister von Kufstein 1974 - 1987



Vor einigen Jahren wurde besonders in Deutschland mit Artikeln in allen nur möglichen Medien, Talkshows und Rundfunkbeiträgen der 68-er Bewegung gedacht und ihren überlebenden Exponenten Raum für die Darstellung ihrer zum Teil abstrusen Ideen und Vorstellungen gegeben.


In unserer Stadt Kufstein und im Land Tirol haben wir von dieser Bewegung wenig gespürt. Wir waren allerdings auch sehr mit uns selbst beschäftigt. In

Innsbruck regierte Eduard Wallnöfer mit einer 2/3-Mehrheit der ÖVP, in Kufstein „regierte“ ein sozialistischer (so nannten sich damals die Sozialdemokraten) nicht unbeliebter und persönlich hochanständiger Bürgermeister, der in den Augen von uns Jungen ein Bonze im wahrsten Sinne des Wortes war. Als einfacher ÖBB-Bediensteter gewählt, machte er dort bald Karriere, zog in den Landtag ein und mit einem repräsentativen Dienstwagen, einem Opel Kapitän (den ich übrigens als eine meiner ersten Aktionen nach meiner Wahl verkaufte und für den Erlös einen Kinderspielplatz errichten ließ), fuhr er durch die Stadt und hielt, von den Bürgern hochgeachtet, bei jeder Gelegenheit Hof.


In den Jahren seit 1959, seit seiner Wahl, hatte Rudolf Wahrstötter zwar einiges bewegt, insbesondere in uns jungen, politisch interessierten, Menschen wuchs aber in zunehmendem Maße die Überzeugung, dass noch viel in unserer Stadt geschehen müsste und der regierende Bürgermeister dazu nicht imstande sei bzw. es gar nicht wollte. Wörgl lief Kufstein immer mehr den Rang ab und wurde zur Schulstadt im Bezirk, der Krankenhaus-Standort schien gefährdet und immer mehr Betriebe gingen von Kufstein weg und siedelten sich in Langkampfen und Wörgl an. Die SPAR, die ihre Wiege in Kufstein hatte, war hier ein besonders eklatantes Beispiel. Kaum jemand erinnert sich noch daran. Die Gemeindeführung sah dem zu, wie das Kaninchen der Schlange, zumindest in unseren Augen.


Und so kam es im Herbst des Jahres 1967 zu dem, was 1968 dann erste Früchte trug. Angetrieben von der Jugend in ihren Reihen, organisierten sich ÖVP-Wirtschaftsbund, FPÖ und erklärte Parteifreie zur Gemeinsamen Kufsteiner Liste (GKL) im Hinblick auf die im Jahr 1968 anstehende Gemeinderatswahl. Unter dem Motto „Soll nicht mehr das Parteibuch zählen, musst Du GKL wählen“ sollten erklärtermaßen „Frischer Wind und Neue Kräfte“ in die Gemeindestube in Kufstein einziehen. Die SPÖ, die seit der GR-Wahl 1962 die absolute Mehrheit im Kufsteiner Gemeinderat hatte, sollte abgelöst werden.


Das Programm, das wir jungen Leute erarbeitet hatten und das die ältere Generation in der GKL gerne mitgestaltete und übernahm, war für Kufstein geradezu revolutionär. An die Stelle von Zank und Streit im bürgerlichen Lager, die das Gemeindegeschehen beherrscht hatten, sollte eine Einheit gegen die Sozialisten antreten. Die Stadt Kufstein sollte Vorreiterin im Bereich der Demokratisierung und der Fürsorge für die Jüngsten, die Älteren und die Menschen mit besonderen Bedürfnissen werden, den in der Politik bis dahin kaum diskutierten Umweltschutzgedanken umsetzen, ihre Stellung als die Schulstadt im Bezirk wieder erlangen, Standort für das Krankenhaus bleiben, das unerträgliche parteipolitisch dominierte Wohnungsvergabesystem abschaffen, sich endlich mit der Vergangenheit auseinandersetzen und die Hakenkreuze in der Stadt entfernen. Die Gemeindevertreter sollten heraus aus dem Rathaus zu den Bürgern kommen, mit ihnen sprechen und ihre Ideen und Wünsche umsetzen. Alle Entscheidungen sollten transparent gemacht uns offen diskutiert werden. Der Gemeinderat sollte nicht weiter ein Gremium von Geheimniskrämern sein. Und vor allem wollten wir der in unseren Augen verantwortungslosen Finanzpolitik der Sozialisten eine neue, sparsame und von Verantwortung für die zukünftigen Generationen getragene, entgegensetzen.


Im ersten Anlauf schafften wir es noch nicht. Wohl hauptsächlich deshalb, weil wir dem regierenden Bürgermeister keine glaubwürdige personelle Alternative entgegensetzen konnten. Immerhin konnten wir aber die absolute Mandatsmehrheit brechen, es stand von 1968 – 1974 im Gemeinderat 10:10, die Sozialisten stellten zu Folge eines Stimmenüberhanges den Bürgermeister (damals gab es die Direktwahl des Bürgermeisters noch nicht). Im Laufe der Zeit erst wurde den machtbesessenen Sozialisten klar, dass sie trotz des Dirimierungsrechtes ihres Bürgermeisters bei Abstimmungen keine Mehrheit mehr hatten. Wenn wir nämlich, was wir natürlich fallweise praktizierten, aus dem Gemeinderat auszogen, war dieser beschlussunfähig und konnten die Sozialisten ihre Wünsche daher nicht schrankenlos durchsetzen. Allerdings konnten auch wir in dieser Zeit unsere Vorstellungen nur ansatzweise verwirklichen.


Das änderte sich schlagartig im Jahr 1974. Als Wahlgemeinschaft mit der ÖVP traten wir mit 2 gemeinsamen Bürgermeisterkandidaten an und erreichten die Mehrheit von 11 Mandaten! Vereinbart wurde, dass entweder der Spitzenkandidat der GKL oder jener der ÖVP-Liste den Bürgermeister stellen sollte, je nachdem welche Liste mehr Stimmen bzw. Mandate erreichen würde. So wurde ich 1974 Bürgermeister und blieb es mit absoluter Mehrheit (1980 12 GKL- Mandate, 1986 11 GKL-Mandate) bis 1987.


Im Vorfeld hatten wir Gelegenheit zu einer Bestandsaufnahme und dabei festgestellt, dass die Situation der Stadt Kufstein nach 15 Jahren sozialistischer Herrschaft noch bedenklicher war, als wir ursprünglich angenommen hatten. Heute erinnert sich ja kaum noch jemand daran, dass die Stadt vor dem finanziellen Ruin stand. Zur Finanzierung eines Hallenbades hatte sich die Gemeindeführung auf ein finanzielles Abenteuer mit einer Bank, die in der Folge in Konkurs ging eingelassen. Gerade noch rechtzeitig entschied sich die Bevölkerung für uns und konnten wir die bereits abgeschlossenen Verträge kündigen, sodass nicht nur die Errichtung des Hallenbades (mit eklatanten Folgekosten) vermieden werden konnte, sondern kein einziger Schilling (das war die damalige Währung) verloren ging.


In Kufstein gab es damals keine Möglichkeit für Frauen ihre Kinder kurzfristig unter Aufsicht zu geben um Besorgungen zu erledigen, keine höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe, ein viel zu kleines Gymnasium, es gab keinerlei Einrichtungen für die Förderung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen (mit Behinderungen), es gab kein Freischwimmbad, kein Jugendzentrum, kein Fernheizwerk, eine umweltzerstörende Abfallentsorgung im Gemeindegebiet von Schwoich, kein Essen auf Rädern, ein viel zu kleines „Altersheim“, keinerlei Pflegemöglichkeiten für die ältere Generation, eine verrottende Kunsteisbahn und eine verfallende Kabine am Sportplatz, kein Freischwimmbad, keine Weihnachtsfeier für die Alleinstehenden, kein Sportgespräch, keine Sportlerehrung, kein Kulturgespräch, keine Verbindung zwischen Zell und dem Schul- und Sportzentrum bzw. dem Schwimmbad über die Inn für Fußgänger und Radfahrer, bei jeder Gelegenheit trat der Inn im Bereich Fischergries über die Ufer, weil es dort keine Verbauung gab, dafür mussten die jungen Menschen zu den Vertrauensleuten der politischen Parteien ÖVP und SPÖ pilgern, wenn sie eine Wohnung haben wollten und dafür gab es Häuser, an denen noch das Hakenkreuz prangte und keine Erinnerung an die Opfer des Regimes in den Jahren 1938 – 1945, die es auch in unserer Stadt gegeben hatte. Die Straßenverbindung zwischen Kufstein und Ebbs war eine einzige Brücke über den Kaiserbach im Bereich des Kaisertalaufstiegs, der Egger – Hof, heute Arkadenplatz stand im Privateigentum und verrottete zusehends, es gab kaum Kassenärzte und der Krankenhausstandort war höchst gefährdet. Es gab kein Klärwerk, die Abwässer wurden ungeklärt in den Inn geleitet und sogar eine wasserrechtliche Bewilligung zur Entsorgung der Abfälle in den Inn gab es noch (ältere Menschen werden sich noch an die Abladestelle am Fischergries erinnern). Die Fahrzeuge auf der Autobahn brausten mit 130 kmh durch das Stadtgebiet, Lärmschutzwände gab es nicht, Beton wurde auf die Fahrbahn aufgebracht. In Rosenheim wurde ein Atomkraftwerk geplant und die Bahnlinie durch das Inntal sollte als „Brennerflachbahn“ oberirdisch mitten durch unsere Stadt verlaufen. In Wackersdorf war eine Wiederaufbereitungsanlage für Atommüll geplant. Sogar Musikpavillon und Probelokal für die Stadtmusikkapelle und Ausbau des Schützenheimes waren Wünsche, die vergeblich an die sozialistische Gemeindeführung herangetragen worden waren (der von mir am Tag meiner Wahl zum Bürgermeister der Stadtmusik versprochene Musikpavillon wurde alsbald errichtet, von einem meiner Nachfolger aber entfernt). Niemand kümmerte sich um die Menschen mit besonderen Bedürfnissen und Behinderungen. Die Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen, viel war also zu tun.


Wir packten es gemeinsam an und waren erfolgreich. Dabei fehlte es nicht an Querschüssen. Besonders in Erinnerung ist mir eine Aufsichtsbeschwerde, die die Sozialisten gegen mich bei der Bezirkshauptmannschaft einbrachten. Es ging um die Errichtung der höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe, wir hatten mit dem Bau begonnen, um ein Schuljahr früher den Betrieb aufnehmen zu können und noch keinen Finanzierungsbeschluss im Gemeinderat herbeigeführt. Das wurde dann natürlich nachgeholt. Besondern bemerkenswert ist, dass es gelungen ist, mit dem Bund einen Finanzierungsvertrag abzuschließen, der sicherstellte, dass die Stadt Kufstein jeden Cent, den sie für diese Schule aufgewendet hat, inklusive aller Zinsen und Finanzierungskosten vom Bund refundiert erhielt.

Wer erinnert sich heute noch an unseren „Kampf“ gegen die Betonierung der Inntalautobahn, die von Kufstein bis Wörgl bereits erfolgt war und über unsere Initiative durch einen Flüsterasphalt ersetzt wurde, wer erinnert sich noch an die ersten Lärmschutzwände an der Autobahn, die wir durchsetzten (schon damals erreichten wir übrigens Tempo 100 an der Autobahn über unsere Initiative). Wer erinnert sich noch an unsere Initiative gegen die WAA Wackersdorf, die sich von den gewaltsamen Kämpfen der Linken durch wohldosierte Argumentation unterschied, wer erinnert sich noch an unseren „Kampf“ gegen das AKW Marienberg bei Rosenheim und gegen die überirdisch geplante Brennerflachbahn durch das Unterinntal? Und wer erinnert sich noch an die Zeit, als der Inn im Bereich Fischergries und Untere Sparchen regelmäßig über die Ufer trat und es den Sozialisten nicht gelang, die notwendigen Bundesmittel für eine ordentliche Verbauung zu lukrieren. Uns ist das dann gelungen und wir erhielten im Zuge des Baues des Innkraftwerkes Ebbs-Oberaudorf all unser investiertes Geld zurück und konnten dafür dann das heutige Krankenhaus Areal ankaufen und damit die endgültige Standortentscheidung für Kufstein im Krankenhausstreit mit Wörgl in die Wege leiten. Wer erinnert sich noch, wie der Hausmüll entsorgt wurde, bis wir eine ordnungsgemäße Entsorgung herbeiführen konnten. Wer erinnert sich noch daran, dass am Ende der sozialistischen Herrschaft praktisch die gesamten Abwässer der Stadt ungeklärt in den Inn geleitet wurden, bis wir ein modernes Klärwerk gemeinsam mit unseren Nachbargemeinden errichtet haben. Wer erinnert sich noch daran, dass in Kufstein im Zentrum bis in die 70-er Jahre des vorigen Jahrhunderts eine schlechtere Luftqualität herrschte wie am Stachus in München, bis wir den Großteil des Hausbrandes durch eine moderne Fernwärmeversorgung, zunächst betrieben mit Schweröl, dann mit Erdgas, ersetzt haben. Die Erdgasversorgung Tirols war kein besonderes Interesse der Landespolitik, bis wir von Kufstein aus gemeinsam mit dem damaligen Chef der Bayerngas Dr. Mayr, der glücklicherweise ein geborener Kufsteiner (vom Jodlbauer beim Edschlössl) war, einfach eine Gasleitung von Kiefersfelden zu unserem Fernheizwerk gebaut haben. Einen Kindergarten für behinderte Kinder haben wir geschaffen und die beschützenden Werkstätten, die heute Selbstverständlichkeit sind, entstanden unter unserer Federführung.


UND HEUTE ?????


Ich glaube, dass es notwenig ist, gerade in der Zeit, in der sich die Erinnerung an die 68er Jahre in der öffentlichen Diskussion in Sex & Drugs & Rock'n'Roll zu erschöpfen scheint, daran zu erinnern, wie wir von der FPÖ gemeinsam mit der ÖVP und erklärten Parteifreien die Stadt Kufstein in dieser Zeit umgekrempelt haben. Die 68er Jahre und ihre Folgejahre waren jedenfalls für uns Jahre der harten Arbeit für unsere Stadt und wir haben viel bewegen können zum Wohl unserer Bevölkerung. Das war nur möglich weil wir zusammengehalten haben, unzählige Interventionen in Innsbruck und Wien waren erforderlich, ich habe ein Vierfachleben geführt (Beruf als Rechtsanwalt, Familie, Bürgermeister und Abgeordneter), bei dem vieles in meinem privaten Bereich zu kurz gekommen ist.

Dass ich am Ende meiner Aufbauarbeit als Bürgermeister in den Jahren 1974 – 1987 die Stadt aber meinem Nachfolger Lothar Held mit einem um rund 50 % gegenüber 1974 reduzierten Schuldenstand und Rücklagen in Höhe von rund Euro 2 Millionen übergeben konnte, rundet das Bild der erfolgreichen Jahre für unsere Stadt ab, in denen die damaligen Gemeindeväter unter meinen leider schon verstorbenen Vizebürgermeistern, Max Walch, Prof. Franz Kirchmair und Dr. Bruno Penz und mir alles andere im Kopf hatten als Sex & Drugs & Rock'n'Roll.

Dieser Rückblick ist auch Gelegenheit für mich zur Erinnerung an große nationale und internationale Persönlichkeiten, die ich kennengelernt und mit denen ich zusammengearbeitet habe.


Rudolf Kirchschläger, Eduard Wallnöfer, Franz Josef Strauss, Heinz Fischer, Thomas Klestil, Jassir Arafat, Norbert Steger, Jörg Haider, Heinz Christian Strache, Josef Moser, Wolfgang Schüssel, Rudolf Sallinger, Franz Kneissl, Peter Zimmer, Otto Graf Lambsdorf, Wolfgang Mischnik, Erzbischöfe Karl Berg, Alois Kothgasser, Franz Lackner, Hans Hermann Kardinal Groer, Leopold Gratz, Helmut Zilk, Alois Partl, Günter Platter, Georg Willi, Otto Lechner, Max Reisch und viele andere.


UND HEUTE MUSS ICH MICH VON LEUTEN, DIE ICH WIRKLICH NICHT ERNST NEHMEN KANN, ALS TEIL DER KELLERNAZIS BESCHIMPFEN LASSEN - EIN TRAUERSPIEL.


Kufstein, im April 2023

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